Eine Perspektive von Melina*

»Die Geschichte des Nationalsozialismus wurde bei mir an der Schule nur sehr grob behandelt und dadurch nahezu verharmlost. Der Völkermord an den Sinti und Roma war nur eine Randbemerkung in unserem Schulbuch.«

Melina über die Gedenkfahrt nach Auschwitz

Erst als ich die Möglichkeit hatte, die Gedenkstätte Auschwitz zu besuchen, erkannte ich das ganze Ausmaß der Verbrechen der Nazis.

Wir gingen auf den gleichen Wegen, die die Häftlinge damals gehen mussten. Dort wurde mir wirklich bewusst, dass es um Leben und Tod ging. Hier wurden Menschen ermordet. Meine eigenen Vorfahren haben dieses Leid erfahren.

Viele von ihnen konnten nicht darüber sprechen, weil sie sich dafür schämten, all das erduldet zu haben. Vor allem die Frauen unter den Überlebenden fühlten oft Scham. Besonders erschütternd war für mich der Anblick der Haare und der kleinen Babyschuhe in einer der Ausstellungen. Die Kinder, diese kleinen Wesen, konnten gar nicht begreifen, was mit ihnen geschah.

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Melina, 19 Jahre, Sintezza, wohnt im Moormerland, im Landkreis Leer (Ostfriesland). Sie macht derzeit eine Ausbildung zur Erzieherin.

Höre in das Gespräch mit Melina hinein.
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Es ist mir wichtig, für die Gleichheit aller Menschen einzustehen. Wir alle haben das gleiche Herz und glauben an denselben Gott.

Nach unserer Gedenkstättenfahrt sprach ich in der Schule an, dass diese Geschichte nicht nur ein Lernstoff ist, sondern dass dieses Elend meinen Vorfahren widerfahren ist. Der Lehrer nannte daraufhin einige Zahlen der Ermordeten, aber meine tiefe Betroffenheit konnte er nicht nachvollziehen. Auch meine Mitschüler interessierten sich nicht wirklich dafür.

Nur eine Freundin fragte mich später, wie es mir geht. Sie hatte selbst einmal eine KZ-Gedenkstätte besucht und würde nie ein unbedachtes Wort über die Geschichte verlieren. Sie zeigt echtes Interesse an meiner Geschichte. Ich kann es nur jedem empfehlen, der die Geschichte wirklich verstehen möchte, die Orte der Verbrechen zu besuchen. Es ist wichtig, dass dies nicht in Vergessenheit gerät und dass Kinder und Jugendliche von Anfang an aufgeklärt werden. Nur so können wir verhindern, dass so etwas wieder geschieht.

Melina über ihr Engagement gegen Diskriminierung in der Schule

In meiner Klasse gab es einen Jungen, der gemobbt wurde, weil er Rom war. Die anderen machten abfällige Bemerkungen wie: »Pack deine Sachen weg, der klaut.« Ich habe den Jungen verteidigt und gefragt: »Woher wollt ihr das denn wissen? Das sind doch nur Vorurteile!«

Nach diesem Vorfall wurde ich selbst in der Klasse ausgeschlossen, niemand wollte mehr mit mir sprechen. Aber das war mir egal. Mein Mitgefühl für den Jungen und das Eintreten für Gerechtigkeit waren mir wichtiger.

Ich stehe dazu, dass ich Sintezza bin.

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Hier sprechen zehn Sinti* über ihre Familiengeschichten, die Folgen des NS-Völkermords und ihr Engagement gegen Antiziganismus heute.